Im Oktober 1952 reiste mit einem für einen Staatenlosen ausgestellten und dreimonatigen Besuchsvisum versehenen österreichischem Fremdenpass Gustav W., seines Berufes nach Bergdiplomingenieur, nach Herten. Auf der Schachtanlage Schlägel & Eisen der Berwerksgesellschaft Hibernia in Herten-Langenbochum nahm er ohne die erforderliche Erlaubnis des Arbeitsamtes als Steiger die Arbeit auf.
Im Februar 1953 erhielt die Kreisverwaltung über das Arbeitsamt Recklinghausen fernmündlich Kenntnis, dass die beteiligten Bundesressorts der Arbeitsübernahme der Siebenbürger Sachsen aus Österreich im rheinisch-westfälischen Kohlenbergbau zugestimmt haben und die „für die Aufnahme der Kräfte erforderlichen Vorbereitungen können daher getroffen werden“.
Als die Stadtverwaltung Herten der Kreisverwaltung in Recklinghausen die Ankunft von 70 Siebenbürgern, die teilweise ohne Ausweispapiere angekommen sind, berichtet, veranlasst der damalige Kreisoberrechtsrat Stanke eine entscheidend werdende Besprechung, die am 10.4.1953 stattfindet. An ihr nehmen als Sprecher der Siebenbürger Sachsen Dr. Dr. Keintzel und für die Schachtanlage Dr. von Bargen teil. Als Ergebnis erhalten die Männer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Ihre Familien sind noch in Österreich. Da der Innenminister die beantragte Aufenthaltsgenehmigung für diese Familienangehörigen noch nicht erteilt und die Männer zu Pfingsten ihre Frauen besuchen und mit ihnen verständlicherweise über ihre gemeinsame Zukunft sprechen wollen, gelingt es, ihnen mit deutschen Fremdenpässen (ihre österreichischen lassen sie sozusagen als Pfand hier) diese Pfingstreise zu ermöglichen. Eine Panne im Innenministerium in Düsseldorf hätte das fast verhindert – doch die Situation wurde noch rechtzeitig gerettet.
Und dann schweigen Bonn und Düsseldorf. Aber nach dem Willen, „den Siebenbürger-Sachsen zu helfen“ bleibt der Kreisoberrechtsrat am Ball, zumal für 215 Familien die Neubauwohnungen sich ihrer Fertigstellung nähern. Das Gesetz ist jetzt auf seiner Seite. Er erreicht die Zustimmung des nordrhein-westfälischen Innenministers zur Einreisegenehmigung für Familienangehörige; aber noch nicht für alle. Und nun beginnt ein hartes Ringen mit dem Büro für Aufenthaltsgenehmigungen beim Bundesminister des Inneren, dem Innenmisterium des Landes, der Arbeits- und der Sozialverwaltung, bis auch mit Hilfe des Bundesministers für Vertriebene die eingereisten Siebenbürger hier bleiben konnten. Schließlich wird in jedem Einzelfall festgestellt, dass keine Gründe vorliegen, die „ein Aufenthaltsverbot im Sinne des §5 Ausl. Pol. VO rechtfertigen“. Damit können die Siebenbürger-Sachsen in Herten den Deutschen Personalausweis erhalten und die nachgezogenen Familienangehörigen erwerben die gleichen Rechte!
296 Personalausweise werden am 18.3.1954 nach Herten gesandt und am 21.3.1954 ausgehändigt.
Siebenbürger werden Hertener BürgerAusländer und Staatenlose in Herten / Aus aller Herren Länder H e r t e n. Unser Herten ist fast eine internationale Stadt, und unter seinen Einwohnern leben viele Männer und Frauen aus aller Herren Länder. Ein ziemlich stetiger Stamm von ihnen, an die 280, hat sich seit langem hier eingebürgert, arbeitet wie jeder Deutsche mit, aber die alte Staatsangehörigkeit haben die Menschen beibehalten. Viele von ihnen könnten ganz gut Deutsche sein; aber warum erst die Scherereien mit der Einbürgerung? Nun entdecken wir in den Nachweisungen des Statistischen Amtes, dass die Zahl der “Ausländer” von den üblichen 280 auf 319 und jetzt gar auf 349 angewachsen ist. Wir blättern die Liste durch und entdecken 4 Aegypter, 2 Belgier, 8 Franzosen, 46 Italiener, 28 Jugoslawen, 40 Niederländer, 25 Oesterreicher, 18 Ungarn, 33 Polen, 57 Rumänen, 5 Sowjetrussen, 4 Tschechoslowaken und vereinzelte Esten, Letten, Litauer, Engländer und Schweizer. Das Hauptkontingent unter den “Ausländern” stellen die Staatenlosen, rund 70 an der Zahl. Aber nun sind sie in Herten, haben sich auf Schlägel und Eisen anlegen lassen, aber die von Oesterreich erteilte Aufenthalts- und Arbeitsererlaubnis ist be- fristet: wenn die Frist vorüber ist, können sie nicht nach Österreich zurückkehren. Einer von ihnen konnte sogar die Zeit nicht abwarten, bis in Österreich die notwendigen Formalitäten ausgestanden waren, und ist schwarz über die Grenze gekommen, da es ihn in seinen Bergmannsberuf drängte. So stehen die Behörden vor einer schwierigen Aufgabe, die Einbürgerung, die sonst immer eine kleine Ewigkeit dauert, beschleunigt zu betreiben. In der unteren Ebene schuf man innerhalb kürzester Zeit die erforderlichen Unterlagen, in der mittleren Ebene beschleunigte man die Sache; aber nun hakt sie in der höheren Ebene. Und die Tage eilen dahin, bis die Siebenbürgen-Deutsche auch Papier-Deutsche werden dürfen. Mancher von ihnen hat allerdings Herten auch schon wieder den Rücken gekehrt, Zumeist sind es Bauern; die die freie Luft unterm hellen Himmel mit der Grubenluft unter Tage nicht zu vertauschen vermochten. Wer sich aber in den Bergbau eingelebt hat, ist glücklich über seine neue gute Existenz und freut sich auf das Wiedersehen mit seinen Angehörigen im neuen eigenen Heim. Dr.T. |
Ende März 1954 geht ein Erlass an die Kreisverwaltung, der praktisch die Einziehung der ausgegebenen Bundespersonalausweise, die in Herten-Langenbochum den Siebenbürgern ausgehändigt wurden, verlangt und sie damit wieder zu Staatenlosen machen würde. Der Oberrechtsrat verweigert die Ausführung des Erlasses und erzwingt ein Gespräch bei dem zuständigen Ministerialdirigenten in Düsseldorf. Als Ergebnis gab es ein vereinfachtes Einbürgerungsverfahren für alle im Zuge der Aktion der „Deutschen Kohlen Bergbauleitung“ in die Bundesrepublik Deutschland gekommenen Siebenbürger-Sachsen.
Zwischendurch entscheidet er für den Siebenbürger Stefan G., der das Aufgebot bestellt hatte, um zu heiraten „Solange dem G. der Ausweis als „einem Deutschen gleichgestellt“ belassen ist, mag sich der Stan-desbeamte danach richten“. Das fehlte noch, dass Deutschland einem Siebenbürger-Deutschen sein Recht vorenthielte.
Kurz darauf – die Kinder der Siebenbürger-Sachsen sollen auch in der Schule jemanden aus ihrer Gemeinschaft in ihrer Nähe haben und eine siebenbürgisch-sächsische Lehrerin sollte wieder in ihrem Beruf tätig sein können – bestätigt er, dass Frau Grete F. alle nötigen Voraussetzungen erfüllen würde. Sie hat noch viele Kinder ihrer Landsleute unterrichtet.
Und dann kommt die nächste Panne. Der Einbürgerungserlass ist beim Regierungspräsidenten in Münster verschwunden. Die Landtagswahlen stehen vor der Tür, die aktive Wahlberechtigung der Siebenbürger ist nach dem hic-hac fraglich; sie sind schon in den Wählerlisten eingetragen. Salomonische Entscheidung: Wenn niemand die Eintragungen beanstandet, bleiben die Namen in den Listen und die Siebenbürger werden mit wählen. So geschah es dann auch.
Inzwischen ist das Verfahren angelaufen, aber teilweise fehlen Geburts- und Heiratsurkunden, auf diese wird verzichtet, auf amtsärztliche Zeugnisse für jene, die knappschaftsärztlich untersucht und gesund und arbeitsfähig befunden worden sind, wird verzichtet.
Die Stellungnahme der Polizeibehörde wird durch ein Leumundszeugnis der Landsmannschaft ersetzt. Verzichtet wird auf amtsärztliche Gesundheitszeugnisse für Ehefrauen und Kinder, auch auf Strafregisterauszüge; und in jenen Fällen, in denen die Männer amtsärztlich untersucht werden müssen, weil sie nicht im Bergbau tätig waren, wird auf Gebühren verzichtet. Die Frauen und Kinder werden wie Bergbauangehörige behandelt. St. Bürokratius wird sich die Haare gerauft haben!
Und dann war es soweit. War es wirklich soweit?
Noch waren die Problemfälle der Familien H. und P. nicht gelöst. Beide hatten aus sehr verständlichen Gründen aufgrund langjährigen Aufenthaltes in Österreich dessen Staatsangehörigkeit erworben. Damit fielen sie nicht unter das Sondereinbürgerungsverfahren. Frau H., deren Anregung die Stadt Herten letztlich das Entstehen der „Sammlung Siebenbürger Volksgut“ verdankt, war Nachbarhannin für die Frauen, Herr P. Nachbarhann für die Männer. Es gelang, auch das zu regeln.
Am 7.8.1955 stimmte der Innenminister der Aushändigung der Urkunden zu.