Das Angebot der deutschen Bergwerksindustrie …

Die ehemalige deutsche Kohlenbergbauleitung machte den Siebenbürger Sachsen 1952 das Ange­bot, für sie in Oberhausen-Osterfeld, Setterich bei Aachen und Herten-Langenbochum eine am Rande der Stadt gelegene Siedlung im heimatlichen Baustil zu errichten, falls sich eine bestimmte Anzahl der Männer als Bergleute verpflichten würde.

Schlägel & Eisen findet in den Siebenbürger Sachsen neue Arbeitskräfte …

Insgesamt 109 neue Arbeitskräfte fand die Zeche Schlägel & Eisen in Herten auf diese Weise bis 1954. Von den zahlreichen Siebenbürger Sachsen, die nach dem Kriege zunächst als Flüchtlinge in Österreich verweilten, hatten sich 510 Menschen aus 98 Familien und etwa 24 verschiedenen Ge­meinden Siebenbürgens für die Siedlung in Langenbochum als neue Heimat entschieden. Andere Angebote von Frankreich, USA, Kanada, Venezuela und Argentinien hatten sie abgelehnt, da diese mit der für sie untragbaren Konsequenz verbunden waren, auf ihre Muttersprache und deutsche Schulen zu verzichten.

Die Neuorientierung in Herten...

Gleichwohl brachte auch eine Neuorientierung in Herten zunächst Schwierigkeiten unterschiedlicher Art mit sich, wie Gisela Guttschling in einer Veröffentlichung der Ostdeutschen Forschungs­stelle in Dortmund über die Siedlung in Langenbochum schreibt. Die innerliche Verbundenheit mit dem Leben in Siebenbürgen machte es insbesondere den älteren Menschen zunächst schwer, sich einzuleben und heimisch zu fühlen. Anders als die jugendlichen Siebenbürger erlebten sie beispielsweise die Arbeit auf der Zeche als extrem hart, da sie es in ihrem bisherigen Leben gewohnt waren, als Bauern und Handwerker Entscheidungen und Anordnungen selbst zu treffen. Kranken- und Arbeitslosenver­sicherungen waren ihnen bis dahin als überwiegend selbständig Tätige in ländlichen Gemeinden fremd geblieben; aufgrund des Zusammengehörigkeitsgefühls hatte man sich in Notfällen auf gegen­seitige Hilfe verlassen können und war nie auf kostenintensive Versicherungen angewiesen gewesen. So war es nicht zuletzt der Gegensatz von traditionellen ländlichen Lebens- und Arbeitsformen und modernem städtischen, industriell geprägten Leben, der den Siebenbürgern die Eingliederung ins Ruhrgebiet anfänglich erschwerte.

Verschiedene siebenbürgisch-sächsische Dialekte...

Ein entscheidender und zu berücksichtigender Aspekt für den Aufbau der Gemeinschaft in der neuen Siedlung in Langenbochum war die Verschiedenheit ihrer Herkunft in Siebenbürgen. Zunächst gab es naturgemäß engere Kontakte zu den bereits aus den früheren Heimatge­meinden vertrauten Familien. Dabei wurde rasch deutlich, dass das allen gemeinsame Ziel, siebenbürgische Brauchtumsformen zu erhalten, bei einer Isolierung der einzelnen Familien nach Herkunft nicht verwirklicht werden konnte. Bald gab es eine weitere Annäherung: Die starken mundartlichen Unterschiede zwischen den ehemaligen Gemeindemitgliedern Nord- und Mittelsiebenbürgens trugen dazu bei, dass - wenngleich zu Hause weiterhin Sächsisch geredet wurde - man sich „draußen“ all­mählich auf das Hochdeutsche einigte.

Die neue Siedlung...

Nach siebenbürgischer Art wurde die Siedlung als Gruppendorf im offenen Viereck gestaltet; die ur­sprünglichen Vorstellungen siebenbürgischer Bauweise konnten nicht realisiert werden, da bei der Planung das Gesamtbild der Umgebung zu berücksichtigen war. In Erinnerung an die alte Heimat erhielten die einzelnen Straßen ihre Namen nach den größeren (ehemaligen Burgen-) Städten Siebenbürgens: Siebenbürger, Kronstädter, Bistritzer, Klausenburger, Hermannstädter und Schäßburger Straße. Wir freuen uns, dass trotz vieler Änderungen, die das Leben in der neuen Umgebung mit sich brachte, bis heute auch unsere jungen Familien versuchen, in der Umgebung der Siedlung Wohnungen und Häuser zu finden, um die mittlerweile gewachsenen Strukturen weiter zu leben. Mittlerweile gehören fast 20 Straßen zur Siebenbürger Siedlung, die allesamt nach Ortschaften in Siebenbürgen oder auch nach großen Männern der siebenbürgischen Geschichte benannt sind.

Ein gemeinsames Ziel: siebenbürgische Brauchtumsformen zu erhalten

Gleich zu Beginn wurden in Anlehnung an alte Traditionen Hannschaft, Nachbarschaft und Frauen­schaft gegründet, deren Funktion u.a. in der Organisation kulturellen Lebens, gegenseitiger Hilfe (z.B. bei Krankheit) oder von Näh- und Webarbeiten besteht. Da Einheimische in der Regel mit der Be­zeichnung „Hannschaft“ nichts anzufangen wussten, wurde sie 1965 in Landsmannschaft der Sieben­bürger Sachsen, Kreisgruppe Herten e. V., später: Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Kreisgruppe Herten e.V., kurz: Kreisgruppe Herten umbenannt. Bis heute funktioniert diese Kreisgruppe und organisiert Veranstaltungen und Fahrten für ihre Mitglieder. Die Zusammenarbeit mit der Stadt Herten und der evangelischen Kirche ist sehr konstruktiv und harmonisch.

Bereits in den ers­ten Jahren wurden außerdem Blaskapelle, Chor und Tanzgruppe gebildet, in und mit denen sieben­bürgische Kultur weiterlebt und auch einheimischen Mitbürgern vertraut gemacht werden konnte.

Jugend mit anderen Ausgangspunkt …

Im Gegensatz zu der heranwachsenden Jugend, die sich sogleich dem städtischen kulturellen Leben öffnete, waren die Älteren beispielsweise nicht zu einem Theater- oder Kinobesuch zu bewegen. Sie hielten in ihren Gedanken an ihrer alten Heimat fest und versuchten, selbst streng erzogen, die Jugendlichen aus Gaststätten etc. fernzuhalten. Ihre Bemühungen gingen dahin, ihre Kinder ganz im alten Sinne zu erziehen, aus dem Wunsch heraus, dass ihre spezifisch sie­benbürgischen Eigenarten durch sie bewahrt würden und in ihnen weiterlebten. Der Ausgangspunkt der Kinder war aufgrund der Tatsache, dass sie teilweise erst in Österreich oder Deutschland geboren waren, jedoch ein anderer als der ihrer Eltern: die junge Generation hatte die Sitten und Gebräuche aus Siebenbürgen dort nicht miterlebt und kannte sie nur vom Erzählen. Insofern verbanden sie sie­benbürgische Kultur auch nicht mit dem Gefühl an eine verlorene Heimat. Diese Verbindung von Kultur und Gefühl, von Bräuchen und erinnerungsreichen Gedanken aber ist es, die für die älteren Siebenbürger von zentraler Bedeutung für ihr Wohlbefinden in der neuen Siedlung war.

Spätaussiedler …

Seit den 70er Jahren kamen immer wieder auch Spätaussiedler nach Herten, die sich gerne in der Nähe der Siedlung niederließen und bis heute das kulturelle Leben bereichern. Sie wurden gut und gerne in die Gemeinschaft integriert – hatte man doch ähnliche Vorstellungen und Ideen zur Lebensgestaltung.

Mitgebrachtes Kulturgut lässt Vergangenheit zur Gegenwart werden …

Von besonderer Wichtigkeit ist auch das aus Siebenbürgen mitgebrachte Kulturgut – insbesondere auch die mit den „geretteten“ Din­gen verbundenen Gedanken, die die Vergangenheit wieder zur Gegenwart werden lassen. Vor allem für diejenigen, für die die Zeit in der zunächst fremden Umgebung zugleich auch die Zeit des Alterns war, wurde das Gefühl harmonischer Übereinstimmung mit der Lebensumwelt über die Bewahrung des bisherigen kulturellen Zusammenhanges erreicht. Aber auch die jüngeren Mitglieder unserer Kreisgruppe betrachten und behandeln die kunstvoll gestalteten Gegenstände aus Fest- und Alltagen mit großem Respekt – lässt sich doch erahnen, mit wie viel Liebe und Arbeit jedes einzelne Stück gestaltet ist.

Die Siebenbürgische Küche …

Mit Stolz werden auch heute noch traditionelle Ess- und Kochgewohnheiten beschrieben, die von Ge­meinde zu Gemeinde sich ein wenig unterscheiden. Da es zunächst viele, für die siebenbürgische Küche not­wendigen, Lebensmittel hier nicht gab, eröffneten die Siebenbürger selbst zwei Lebensmittelge­schäfte. Auf gepachtetem Land wurden neben Gemüse und Getreide auch Gewürze wie Zwiebeln, Knoblauch, Kümmel und Petersilie angebaut sowie Schweine, Hühner, Kaninchen, Ziegen, Gänse und Enten zum Schlachten gehalten. Heute können alle Zutaten für die überlieferten Rezepte gekauft werden. Nach wie vor genießen auch die jungen Frauen und Männer wie auch die Kinder die herzhaften Rezepte, die schon bei der Mutter und der Oma so gut geschmeckt haben.

In der Frauengruppe werden Rezepte und Tipps ausgetauscht, Kochkurse der Frauengruppe stoßen auf große Resonanz und fördern wiederum das Zusammengehörigkeitsgefühl auch in der jüngeren Generation.

Die Siebenbürger Frauengruppe …

Gefördert wird der Gemeinsinn unserer Frauengruppe auch durch interessante Ausflüge. Durch den Zusammenhalt unserer Frauen sind nach wie vor die überlieferten Veranstaltungen möglich, wenn sie auch z.T. mit neuem Anstrich versehen wurden. So wird der traditionelle Kathreinerball heute von den jüngeren Frauen als Kathis Frühstück weitergeführt. Die Stickgruppe trifft sich regelmäßig zum Plaudern, Sticken und fröhlichen Beisammensein. Insbesondere aber unterstützt die Siebenbürger Frauengruppe die Veranstaltungen der Kreisgruppe in besonderer Weise – genossen werden nicht nur Kaffee und Gebäck, sondern auch das aufmerksame Kümmern bei allen Geselligkeiten.

Siebenbürgische Kultur gerät nicht in Vergessenheit …

Von Anfang an stand der Wunsch nach Bewahrung neben der Vorstellung, Fortschrittliches und Nutzbringen­des in das tägliche Leben zu integrieren. Kirchenpelz und Trachten wichen im Alltag rasch moderner Kleidung – wenngleich die ältere Generation diese Entwicklung mit Wehmut verfolgte. Viele Nachkommen aus der jüngeren Generation sorgten jedoch durch ihr Interesse an Tanz in volkstümlichen Trachten, siebenbürgischem Liedgut und siebenbürgischer Blasmusik u.a. dafür dass ein Teil siebenbürgisch-sächsischer Kultur nicht in Vergessenheit geriet.

Der Siebenbürger Chor …

Beherzte und sangesfreudige Siebenbürgerfrauen trugen bereits seit 1954 dazu bei, dass das Liedgut der „Alten Heimat“ in Herten und Umgebung erklang und auch gerne gehört wurde. Durch Neuzugänge von Frauen und Männern aus der Siedlung wie auch der näheren Umgebung – auch Nichtsiebenbürgern - vergrößerte sich die Singgemeinschaft zusehends.

1957 gilt als das offizielle Gründungsjahr des Siebenbürger Heimatchores Herten-Langenbochum.

Durch das Wirken all der Sängerinnen, Sänger und auch der Chorleiter, die im Chor aktiv waren, wurde dazu beigetragen, dass der Chor ein gern gehörter Klangkörper war, der nicht nur das alte Liedgut zu Gehör brachte: Geistliches wie weltliches Liedgut, vom Volkslied bis hin zum Schlager, gehörten gleichfalls zum Repertoire des Chores. So war der Chor fester Bestandteil der zahlreichen Veranstaltungen der Siebenbürger Kreisgruppe Herten. Über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde er durch eigene Konzerte, Mitwirkung bei den verschiedensten überregionalen Anlässen der Siebenbürger Sachsen in Nordrhein-Westfalen und Auftritte bei befreundeten Chören. Der Chor war fest in der Arbeitsgemeinschaft Hertener Chöre eingebunden und auch Mitglied im Vestischen Sängerkreis des Deutschen Chorverbandes. Besondere Höhepunkte waren die Ausrichtung des Treffens der Siebenbürger Chöre aus NRW wie auch die Teilnahme am Siebenbürger Treffen in Dinkelsbühl.

Insbesondere das gesellige Miteinander war ein wichtiger Bestandteil innerhalb des Chores. Immer wieder wurden im fast 50 jährigen Bestehen des Chores von den Mitgliedern neue Ideen mit Begeisterung aufgenommen und in die Tat umgesetzt, so dass der Siebenbürger Chor durch die verschiedensten Auftritten Freude, Entspannung und auch besinnliche Stunden bereiten konnte.

In dieser aufgeschlossenen und zugleich sehr familiären Chorgemeinschaft fühlten sich die Sängerinnen und Sänger stets überaus wohl. Leider konnten in den letzten Jahren trotz intensiver Bemühungen keine neuen Sängerinnen und Sänger zum Siebenbürger Chor hinzugewonnen werden. Aus diesem Grund war der bedauerliche Schritt zur Auflösung kurz vor seinem 50-jährigen Bestehen unumgänglich.

Die Siebenbürger Volkstanzgruppe …

In der Siebenbürger Volkstanzgruppe werden noch heute von den Nachkommen der ersten Generation die alten Trachten und Volkstänze gepflegt. Auch viele hiesige haben sich der fröhlichen Gruppe angeschlossen und sind stolz, Teil unserer Gemeinschaft geworden zu sein. Die Tanzgruppe beteiligt sich nach wie vor sowohl an den Aktivitäten unserer Kreisgruppe wie auch an Veranstaltungen innerhalb des gesamten Stadtgebiets. Auch darüber hinaus gibt es viele Gelegenheiten, die wertvollen Trachten vorzuführen: So führten viele Besuche zu anderen Siebenbürger Volkstanzgruppen in NRW und auch nach Munderfing in Österreich. Besondere Höhepunkte waren die Reisen nach Amerika und in Hertens Partnerstadt Arras in Frankreich. Auch in Prag und Berlin wurde bereits getanzt. Ein besonderes Erlebnis aber war und ist immer wieder das Siebenbürger Treffen in Dinkelsbühl. Darüber hinaus ist die Geselligkeit ein wesentlicher Bestandteil der Gruppe. Neben gemeinsamen Feierlichkeiten führten Fahrten in den letzten Jahren nach London, Wien und München.

Die Siebenbürger Blaskapelle …

Nicht wegzudenken aus dem gemeinschaftlichen und kulturellen Leben in und um die Siebenbürger Siedlung ist unsere Blaskapelle. Da sich unter den Landsleuten naturgemäß etliche Musiker befanden, wurde die Tradition der Blasmusik von Beginn an auch in Herten gelebt. Viele Auftritte bis hin nach Österreich, Luxemburg, Frankreich und Amerika sorgten für besondere Erlebnisse. Bei den vereinten Siebenbürger Blaskapellen NRWs wird selbstverständlich mitgewirkt und auch die Reisen nach Dinkelsbühl waren stets eine Bereicherung für die Hertener Musiker. Nach wie vor bereichert die Blaskapelle auch unzählige Veranstaltungen innerhalb unserer Kreisgruppe. Besonders zu erwähnen sind hier das Wecken am 1. Mai, die Open-Air-Probe und das Sommerfest. Auch das Adventfenster am 1. Dezember, das gemeinsam mit der ev. Kirche organisiert wird, wie auch die Weihnachtsfeier der Kreisgruppe sind feste Bestandteile im Kalender.

Die Siebenbürger Blaskapelle bildet seit einigen Jahren jugendliche Musiker aus. Diese haben in der Anfangszeit Auftritte in einer Jugendkapelle absolviert und verstärken jetzt die Stammkapelle.

Kinder und Jugend …

Von Beginn an schufen Frauen aus unserer Nachbarschaft Angebote für die vielen Kinder. Zahlreiche Veranstaltungen wurden speziell auf die Jüngsten zugeschnitten. Der Kinderkarneval ist heute eine der größten Kinder-Veranstaltungen auf Hertener Stadtgebiet. Auch für das Sommerfest können sich zahlreiche Kinder begeistern.

Das regelmäßige Angebot umfasste in den vergangenen Jahren insbesondere Basteln, Volkstanz und Theaterspielen. Aktuell findet sich im Winterhalbjahr eine größere Gruppe an Kindern, um ein Theaterstück einzustudieren. Die Aufführungen finden großen Anklang und auch die Kinder selbst haben große Freude daran, nach vielen Proben in den jeweils neu gestalteten Kulissen und den liebevoll hergestellten Kostümen ihr Können zu zeigen.

Auch die Jugendlichen haben – über die Angebote von Tanzgruppe und Kapelle hinaus – die Möglichkeit, sich zu treffen. Gemeinsam wird gekocht, Tischtennis gespielt oder getanzt. Wir freuen uns, dass unsere Jugendlichen bei den verschiedenen Veranstaltungen ebenfalls mitwirken und Sommerfest oder auch Adventfenster aktiv mitgestalten.

Das Siebenbürger Haus

Ein besonderes Anliegen war von Anfang an, ein Gemeinschaftshaus für die vielfältigen Aktivitäten in der Siebenbürger Siedlung zu bauen. Im Jahr 1964 konnte das Siebenbürger Haus der Jugend eingeweiht werden. Bis heute wird es ehrenamtlich geführt und ist zum Mittelpunkt der Siedlung mit ihren vielen Veranstaltungen geworden. Im Jahreslauf werden hier Karneval, Maitanz, Sommerfest und Weihnachtsfeier begangen. Auch Versammlungen, Kaffeenachmittage, Gruppen- und Kameradschaftsabende der einzelnen Vereine werden hier gefeiert. Dadurch ist das Gemeinschaftshaus schnell zu einem Ort der kulturellen Begegnung geworden. Gerne wird das Siebenbürger Haus für Privatfeiern – wie Hochzeiten und Geburtstage der Mitglieder – genutzt, aber auch bei anderen Vereinen aus dem Stadtgebiet ist das Siebenbürger Haus überaus beliebt. Eine besondere Attraktion verbirgt sich seit 1989 im Giebelzimmer im Obergeschoss - die Sammlung „Siebenbürger Kulturgut“:

Heimatstube und Siebenbürger Kulturgut

Eine Stiftung der Siebenbürger Sachsen an die Stadt Herten …

Im Herbst 1959 erhielt die Stadt Herten eine Sammlung siebenbürgischer Trachten, Decken als Stif­tung der Siebenbürger Sachsen in Langenbochum. Im Mai 1960 wurde in einem Klassenraum der Bodelschwinghschule in Herten dieses Siebenbürger Kulturgut zum ersten Male der Öffentlichkeit vorgestellt. In den folgenden Jahren konnte die Sammlung durch gezielte Ankäufe erweitert und sys­tematisch aufgebaut werden, so dass neben den Trachten und Textilien mit ihren typisch siebenbürgi­schen Stick- und Webarbeiten noch Keramiken, bäuerliches Küchengeschirr sowie Handwerksgeräte; Landkarten; Schmuck und Münzen aus unterschiedlichen Zeiten traten.

Heimatstube Siebenbürger Sachsen …

Nachdem das Ausstellungsgut jahrelang verschiedentlich im Rathaus und in Wanderausstellungen gezeigt und im Archiv gelagert worden war, konnte 1989 dank der finanziellen Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen eine Heimatstube im Siebenbürger Haus der Jugend in Langenbochum eingerichtet werden. Durch diese im Stil einer siebenbürgischen Bauernstube eingerichteten Hei­matstube ist es möglich geworden, der Öffentlichkeit die inzwischen repräsentative Sammlung von Kulturgut in einer ständigen Ausstellung zugänglich zu machen. Die Gruppe Siebenbürger Sachsen, die die Sammlung während der Dauerausstellung betreut, hat somit nun auch die Gelegenheit, ne­ben dem Siebenbürger Brauchtum ebenso Siebenbürger Kulturgut als Teil siebenbürgischer Kultur­geschichte zu dokumentieren und öffentlich zu machen. Eine besondere Gelegenheit hierzu bot sich im Rahmen der Kulturhauptstadt RUHR.2010: Die Ausstellung konnte der breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die vielbeachtete Broschüre "Ruhr.2010: Die Siebenbürger Sachsen in der Kulturhauptstadt Europas 2010 - Das Volk, das Werk, die Kunst" erläutert seither die einzelnen Ausstellungsstücke und gibt viele Hintergrundinformationen. Die 32 Seiten umfassende, umfangreich bebilderte Broschüre wird zum Selbstkostenpreis von 5 Euro verkauft (ggf. zzgl. Porto). Bei Interesse melden Sie sich gerne Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..

Broschüre "Ruhr.2010"

Siebenbürger Münzsammlung …

Ein Teil der Münzen und der allgemeinen Sammlung wurde als Leihgabe an die Kreissparkasse Recklinghausen gegeben. Die Sammlung umfasst insgesamt Münzen aus dem 16. bis 20. Jahrhun­dert, so dass ein Teil siebenbürgischer Geschichte durch sie festgehalten und „erzählt“ wird. So ver­weisen einige Geldstücke auf die Zugehörigkeit Siebenbürgens zu Ungarn, andere auf die zur Dop­pelmonarchie Österreich-Ungarn während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Floren aus dem Jahre 1858 beispielsweise zeigt den habsburgischen Kaiser Franz Josef I. sowie den österreichisch-ungarischen Doppeladler und trägt noch einen Kommentar in lateinischer Sprache. Eine Münze aus dem Jahre 1879, 1 Forint, dagegen dokumentiert bereits die relative Unabhängigkeit Ungarns - seit 1867 - innerhalb der Doppelmonarchie und den sich verstärkenden ungarischen Nationalismus: auf der Vorderseite ist weiterhin der Kopf Kaiser Franz Josef I. zu sehen, auf der Rückseite aber das un­garische Staatswappen, beide Seiten tragen einen ungarischen Text,

Und selbst der Name Franz Josef ist ins Ungarische übersetzt: Ferenez Jozsef. Münzen, die auf den Anschluss Siebenbürgens an Rumänien nach dem 1. Weltkrieg hinwei­sen, enthält die Sammlung jedoch nicht. Sehr viele der Siebenbürger Sachsen in Herten-Langenbo­chum stammen aus den Bezirken Bistritz (Nösnerland) und Sächsisch-Regen (Reener Ländchen) in Nordsiebenbürgen, also dem Teil Siebenbürgens, der 1940 in Folge der Teilung durch den Wiener Schiedsspruch von Belvedere an Ungarn zurückging.

Siebenbürger Kulturgut im Kontext siebenbürgischer Kulturgeschichte...

Wie die Geschichte Siebenbürgens zeigt, lebten die Siebenbürger Sachsen seit ihrer Ansiedlung im 12. Jahrhundert mit verschiedenen anderen Volksstämmen und Nationen zusammen. Zunächst wer­den neben den Sachsen der ungarische Adel und die Szekler (ein ungarischer Volksstamm, der als Bauern lebte) genannt; später finden sich Hinweise auf den rumänischen Volksstamm der Walachen, die schließlich im ausgehenden 19. Jahrhundert neben den Ungarn die stärkste Gruppe in Sieben­bürgen bilden. Über Jahrhunderte hinweg regieren die Ungarn, Szekler und Sachsen das Fürstentum Siebenbürgen zusammen, leben mal mehr für sich in ihrer jeweiligen Provinz, mal mehr zusammen.

Wirtschaftliche Beziehungen laufen zum einen über den Handel auf den regionalen Wochen- und Jahrmärkten, zum anderen werden sie in bestimmten Zeiten aber auch beispielsweise zum Balkan und dem nahen Orient unterhalten. Auf diese Weise kommt es zu sehr unterschiedlichen Einflüssen auf den populären siebenbürgischen Kulturbesitz, wie sie sich etwa in der Auswahl von Motiven und Ornamenten auf Teppichen, Kleidungsstücken u.a. zeigen. Das stattliche siebenbürgische Hochbett, das sich in der Heimatstube befindet, zeigt die typischen orientalischen Formen – kombiniert mit der siebenbürgischen Bauernmalerei, die sich auch auf den anderen Einrichtungsgegenständen wiederfindet.

Umgekehrt tragen häufig Handwerker und Kaufleute der großen Städte Siebenbürgens (Hermannstadt, Kronstadt, Bistritz und Klausenburg) durch ihre regen wirtschaftlichen Beziehungen z.B. zur Walachei und Moldau typische Eigenheiten siebenbürgischer Möbel, Trachten etc. über die Grenzen Siebenbürgens hinaus.

Keramiken...

Bei den Tonwaren lässt sich aufgrund des gegenseitigen Einflusses die Herkunft bisweilen im Einzel­nen nicht mehr bestimmen. Die sächsischen und ungarischen Töpfer nahmen jedoch durch ihren Zusammenschluss in einer mächtigen Zunftorganisation lange Zeit eine vorrangige Position in Sieben­bürgen ein, wobei der sächsische Einfluss generell bis Mitte des 19. Jahrhunderts im Vordergrund stand. Eine herrliche Sammlung von Kacheln, Krügen und Tellern findet sich in der Heimatstube. Sie weisen die typischen Motive für sächsische Keramik auf, die aus der Natur entnommen und sodann stilisiert wurden.

Textilien...

Wichtige Werkzeuge beim Weben sind Webeblatt und Webegatter. Die Webtechnik mit dem Webe­gatter kannten die Sachsen bereits bei ihrer Einwanderung und gaben sie wahrscheinlich im Laufe der Zeit an die Rumänen weiter, bei denen diese Technik „scindurica pentru tesut bete“ genannt wird. Ein Weberschiffchen ist Bestandteil der Ausstellung, ebenso zwei Spinnrocken. Diese wichtigen Utensilien zum Spinnen waren tragbar und konnten früher zu den Spinnabenden in der Nachbarschaft mitgenommen werden.

Eine für die Sächsinnen charakteristische Stickerei - ebenfalls aus der vorsiebenbürgischen Zeit - ist die Faltenstickerei sächsisch: „geroihsel“ (Gereihsel). Hierbei wird die Stoffbreite am Hals und an den Ärmelenden durch Zierstiche zusammengehalten, und zwar der Art, dass das Muster der Faltenstickerei nicht durch Übernähen, sondern durch die Reihfäden selbst entsteht. Herrliche Beispiele dieser Stickkunst sind auf Frauenhemden in den Vitrinen der Heimatstube zu sehen.

Eine der ältesten und in ganz Siebenbürgen bei den Rumänen verbreitete Technik des Stickens ist die „pe dos“-Stickerei, die im Deutschen als Wirkstickerei bezeichnet wird. Sie findet sich auch bei den Sächsinnen der Zone Bistritz, wo der rumänische Einfluss besonders groß ist. Das Muster wird lediglich auf der linken Seite gearbeitet, erscheint dadurch auf der rechten Seite ausgespart und wirkt wie gewebt. Sächsische Bäuerinnen nennen dieses Muster ebenfalls „per dos“ oder - wenn es auf einem Hemdkragen erscheint - rumänisch: „Dat äst der blas Gabler“ (Das ist der rumänische Hemd­kragen).

In der Heimatstube steht ein Trachtenpaar, das uns an seinen Trachten einige Beispiele an alter Handwerkskunst vermittelt: Das Hemd des Mannes ist im Kreuzstich gearbeitet. Bei diesen Mustern haben Sächsinnen und Ungarinnen häufig Motive voneinander entlehnt und sie mit orientalischen kombiniert, so dass Mittelstück, Randleiste etc. eines Ornamentes unter­schiedlicher Herkunft sind und sich daraus wiederum ein typisch siebenbürgischer Stil entwickelte.

Die Frau trägt ein Leibchen wie auch eine Schürze mit den typischen „geschriewen“ (geschriebenen) Stickereimustern, bei der es sich um eine ursprünglich nicht bäuer­liche Technik der Ungarn handelt. Sie sind bei den Sächsinnen insbesondere in den Gebieten um Bistritz auf Festtagsschürzen und um Hermannstadt und Mühlbach auf weißen Kopftüchern, Som­merleibchen und Mänteln zu finden. Die Muster werden hierbei mit einem Stift auf den Stoff geschrieben und dann ausgestickt.

Trachten...

Durch Trachten wurden früher Gemeinsamkeiten ausgedrückt und Klassenunterschiede gekennzeichnet. Insbesondere der siebenbürgische Kirchen­pelz galt als Ausdruck bäuerlichen Reichtums und wurde daher mit besonderem Stolz getragen. Entsprechend sind die alten Pelze der besondere Stolz unserer Sammlung.

Für die Entwicklung und Herstellung der sächsischen Trachten spielte (insbesondere in Bistritz, Hermannstadt und im Burzenland) das Hirtenleben der Rumänen im Rodnaer Gebirge eine Rolle, da die Sachsen Rohmaterial wie Wolle und Schafleder oder aber fertiges Gewebe bei ihnen kauften. Sächsische Techniken und Motive wiederum wurden häufig von den Rumänen übernommen. Während die Sächsinnen sich zeitweilig den Stoff von den Rumäninnen weben ließen und dann schwarz bestickten, so bestickten die Rumäninnen selbst anschließend das Gewebe bunt - und zwar meist in karminrot und blau.

Trachtenschmuck …

In den größeren siebenbürgischen Städten, vor allem in Kronstadt und Hermannstadt, blühte über Jahrhunderte die sächsische Goldschmiedekunst. Von dort aus verbreiteten sich beispielsweise der sächsische Spangengürtel, Filigranrosetten und Silberknöpfe an Kleidungsstücken oder die Bockelnadeln auch unter den Rumänen. Auch in den Dörfern, die in der Nähe der großen Städte gelegen sind, wurden Spangen der Schmiedekünstler verwendet. In anderen Gemeinden haben sich die reinen Bauerntrachten erhalten. Die Heimatstube zeigt die verschiedenen Schmuckarten, die auf verschiedenen Gürtel oder an verschiedenen Trachtenleibchen angebracht sind.

Zu sehen sind in der Heimatstube auch die typischen Silbernadeln, Bockelnadeln genannt, mit denen jungen Frauen ihren Schleier ins Haar feststecken und die heute zu einem reinen Schmuckmotiv geworden sind.

Sog. Borten aus verschiedenen Gemeinden - aus Pappe gefertigte und mit Samt überzogene Kopfbedeckungen, die mit Silberbroschen, Perlen und mehreren langen bunten Bändern verziert sind und auf die zur Hochzeit noch ein Kranz aus Blumen und Myrte befestigt wurde - die von konfirmierten Mädchen zum Gottesdienst getragen wurden, sind ebenfalls in den Vitrinen zu sehen.

Ausblick

Seit 60 Jahren sind die Siebenbürger Sachsen nun in Herten-Langenbochum ansässig. Vieles hat sich in der Zwischenzeit geändert – sowohl von den Organisationsformen her wie auch vom Hintergrund der heute meist in Deutschland geborenen Mitglieder. Der siebenbürgische Geist jedoch wird weiterhin gelebt und geliebt. Wir genießen das Zusammensein in einer großen Nachbarschaft, in der jeder für jeden eintritt, in der die einzelnen Gruppen zusammenarbeiten und zusammenstehen. In diesem Sinne ist es unser Bestreben, unsere Gemeinschaft für unsere Nachkommen zu erhalten und die damit verbundenen Werte – übertragen auf die heutige Zeit – weiterzugeben: Wer Wurzeln hat, hat Zukunft!

Weitere Informationen über uns Siebenbürgern in Herten und uns Siebenbürgern in NRW sind erhältlich in dem umfangreichen Festbuch, das zu diesem Anlass herausgegeben wurde. Auf 450 Seiten sind viele Erinnerungen festgehalten und in Text und Bild dokumentiert. Auch Zeitungsartikel und alte Briefe werden hier veröffentlicht. Das Buch ist damit ein Schatz von Erinnerungen und eignet sich hervorragend zum Selber-Schmökern oder auch zum Verschenken.

Wer Interesse hat, meldet sich gerne Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.: Das Buch wird zum Selbstkostenpreis von 20 Euro verkauft (ggf. zzgl. Portogebühren von 5 Euro)