1953 kamen die ersten Siebenbürger aus Oberösterreich nach Herten, wo Arbeitskräfte für den Bergbau gesucht wurden. 60 Jahre später berichteten einige von ihnen bei einem Pressetermin über die Hintergründe dieser Migration und ihre ersten Eindrücke von Herten.
Die Siebenbürger aus Nordsiebenbürgen mussten bereits nach dem zweiten Weltkrieg aus Siebenbürgen fliehen. Die Meisten flohen nach Österreich oder Süddeutschland.
In Österreich lebten die Siebenbürger staatenlos in verschiedenen Lagern zusammen. Von den einheimischen Österreichern wurden die Siebenbürger zunächst diskriminiert und hatten keine Perspektive, unter Anderem aufgrund der verschiedenen Konfessionen, da die Kultur der katholischen Österreicher und die der evangelischen Siebenbürger aufeinanderprallten. Die Arbeitserlaubnis musste jährlich bestätigt werden. Die Kinder durften zunächst nicht mit den Österreichern gemeinsam in die Schule gehen. Die Österreichische Staatsbürgerschaft wurde den Siebenbürgern erst ab 1955 angeboten.
Es wurde versucht, dieser Situation zu entgehen. 1953 eröffnete sich durch den Kohlevertrag dazu eine Möglichkeit, da im Ruhrgebiet Arbeitskräfte für den Bergbau gesucht wurden. Deshalb reisten von März bis August 1953 über 100 Männer aus Linz, Salzburg, Hofkirchen und Grieskirchen in Oberösterreich nach Herten.
Im „Schmelztiegel“ Ruhrgebiet arbeiteten diese im Bergwerk Schlägel und Eisen in verschiedene Senkungen unterteilt und lebten zunächst in einem Lager für Lehrlinge an der Lyckstraße mit anderen Immigranten zusammen. 6 Personen teilten sich dort ein Schlafzimmer und einen Esszimmer. Personen, die über 45 Jahre alt waren wurden nicht aufgenommen, da nur Arbeitskräfte gesucht wurden.
Die Dunkelheit im Bergbau stand im Kontrast zu dem Tageslicht, welches die Siebenbürger aus Siebenbürgen und Österreich gewöhnt waren. Des Weiteren war es teilweise erforderlich in 80 cm hohen Stollen auf Knien zu arbeiten. Deshalb reisten ca. 10 Männer zurück, welche die Situation besonders negativ empfanden und die Situation auch den in Österreich zurückgebliebenen Frauen und Kindern gegenüber sehr negativ darstellten, sodass einige von ihnen eigentlich gar nicht ins Ruhrgebiet zu reisen wollten.
Jedoch hat sich die Lebenssituation in Herten im Vergleich zu der in Österreich deutlich verbessert. Ein Arbeiter, der acht Stunden täglich im Bergwerk arbeitete, erhielt dafür einen Tagessatz von 11,98 DM (2012 real 27,77€). Des Weiteren konnten die Siebenbürger von der Wohlstandsexplosion profitieren, da dadurch ein höherer Wohlstand und Luxus möglich wurde, den sich die Siebenbürger zuvor noch nicht leisten konnten. Deshalb blieben 109 Siebenbürger in Herten.
Diese hatten die Wahl zwischen einem eigenen Haus und einer Mietwohnung. Die Meisten entschieden sich für das Eigentum, nur wenige wollten zur Miete wohnen. Dabei legte der Kohlevertrag fest, dass die Raten für ein Haus mit Ofen nicht zu hoch sein sollten. Mit der Ankunft der Siebenbürger wurde bereits mit dem Bau der Häuser begonnen; ab September war es möglich, dort einzuziehen. Daraufhin kamen die ersten Frauen nach, sodass bis Weihnachten einige Familien zusammengeführt werden konnten. Damit trat auch schnell Normalität ein.
Weil noch nicht alle Häuser rechtzeitig fertig gestellt werden konnten, wurde der Wohnraum mit der Verwandtschaft geteilt, sodass teilweise vier Familien und zwölf Personen in einem Haus wohnten. Insgesamt lebten daraufhin ca. 510 Siebenbürger aus 98 Familien in Herten.
Die Häuser und Gärten wurden auch im industrialisierten Ruhrgebiet noch so eingerichtet, wie man es aus Siebenbürgen gewohnt war: Es wurde Gemüse angebaut und Schweine und Geflügel gehalten.
Einige Verwandte sind in Österreich geblieben, andere sind in anderen Siebenbürger Siedlungen in Deutschland angekommen. Deshalb wurden viele Ausflüge zu den Verwandten arrangiert.
Die Siebenbürger organisierten sich zunächst weiterhin wie in Siebenbürgen. Dies hatte zur Folge, dass 1954 zunächst vier Nachbarschaften gegründet wurden, jede einzelne wählte eine eigene Hannschaft (Vorstand) und einen eigenen Nachbarvater. Es wurden eine Bruder- und Schwesternschaft (Jugendgruppe) gegründet, die Stammkapelle und die Jugendkapelle „Frisch Auf“, der Chor und Tanzgruppen. Proben fanden zunächst auf einer Wiese oder in Kellern statt, aufgeführt wurde in der Waldschule oder im Kaiserhof. Bis in die frühen 1990er Jahre kamen weitere Siebenbürger nach Herten.
Dieser Bericht basiert auf Zeugenaussagen.