Herten in Westfalen am Nordrande des Ruhrgebietes, zwischen Einscher und Lippe gelegen, war uns Siebenbürgern bis vor einigen Jahren ein unbekanntes Fleckchen Erde. Als im Jahre 1953 die ersten unserer jungen Männer, aus Österreich kommend, hier unter schwierigsten Verhältnissen, bei völlig ungewohnter Arbeit bis zu 800 Meter tief unter Tage mit dem Aufbau einer neuen Existenz, einer neuen Heimat begannen, gab es so manchen „Heiimkehrer". Die Umstellung, die Einordnung in den Rhythmus der großen, Industrie, das so ganzanders geartete Leben eines Bergmannes war eben nicht jedermanns Sache. Die Mutigen blieben bis heute — zirka 600 Seelen — in einer neu entstandenen Siedlung, dem offiziell als „Siebenbürigen Siedlung'' benannten Ortsteil von Herten-Langenbochum.
Friedliche Demonstrationen des ungarischen Volkes verlangten am 23. Oktober 1956 in Budapest nach freien Wahlen und Pressefreiheit, außerdem wurde der Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen gefordert. Die mutigen Proteste wurden von den Sowjettruppen blutig niedergeschlage. In der Folge flüchteten zehntausende Ungarn aus ihrer Heimat. Ihren Höhepunkt erreichte die Massenflucht am 4. November 1956, als sich viele Soldaten den Aufständischen anschlossen und sich Ungarns Grenze öffnete. Gut 200.000 Menschen machten sich auf den Weg in Richtung Westen. In kürzester Zeit erreichte der Flüchtlingsstrom auch Herten.
In der Hannschaftssitzung vom 16.12.1956 wurde beschlossen, die zumeist Jugendlichen und jungen Männer zu Weihnachten in die siebenbürgischen Familien einzuladen. Am 1. Weihnachtstag kamen jeweils 1 oder 2 Flüchtlinge zu Besuch zum Mittagessen. Eine kleine Geste der Dankbarkeit, war man doch selbst wenige Jahre zuvor glücklich über jede Willkommensgeste!
Im Oktober 1952 reiste mit einem für einen Staatenlosen ausgestellten und dreimonatigen Besuchsvisum versehenen österreichischem Fremdenpass Gustav W., seines Berufes nach Bergdiplomingenieur, nach Herten. Auf der Schachtanlage Schlägel & Eisen der Berwerksgesellschaft Hibernia in Herten-Langenbochum nahm er ohne die erforderliche Erlaubnis des Arbeitsamtes als Steiger die Arbeit auf.
Im Februar 1953 erhielt die Kreisverwaltung über das Arbeitsamt Recklinghausen fernmündlich Kenntnis, dass die beteiligten Bundesressorts der Arbeitsübernahme der Siebenbürger Sachsen aus Österreich im rheinisch-westfälischen Kohlenbergbau zugestimmt haben und die „für die Aufnahme der Kräfte erforderlichen Vorbereitungen können daher getroffen werden“.
(lü) Die Straßennamen verraten die Herkunft der Anwohner: Bistritzer-, Kronstädter-, Siebenbürger Straße. Halb Siebenbürgen ist hier versammelt, und das nicht nur dem (Straßen)-Namen nach. 1953 zogen Siebenbürger Sachsen in die Langenbochumer Siedlung, eine der ersten in der Bundesrepublik, die nach dem Krieg entstand. Diese ersten Aussiedler der Nachkriegszeit; die in Rumänien Jahrhunderte lang Deutsche geblieben, in Deutschland aber Fremde waren, hatten es nicht leicht. Vorurteile der Einheimischen und Schwierigkeiten bei der Umstellung auf die Bedingungen einer Ruhrgebietsstadt machten den Siebenbürgern das Leben schwer.